(Bild: Kirchberger/Kirchberger) Der EuGH hat am 3.September 2020 zum Roaming in öffentlichen Mobilfunknetzen in der Europäischen Union (etwas verkürzt wiedergegeben) geurteilt, dass Roaminganbieter ab dem 15. Juni 2017 (Datum der Beendigung der Roaming-Aufschläge) verpflichtet waren, den in der EU regulierten Roamingtarif automatisch auf alle ihre Kunden anzuwenden. Ein Handeln der Kunden war zur Umstellung nicht erforderlich.
1. Das Urteil
Dem Urteil des EuGH ging ein Streit zwischen dem Anbieter von Mobiltelekommunikationsdiensten Telefónica – in Deutschland auch als O2 Anbieter – und dem Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände – Verbraucherzentrale Bundesverband e. V. (VZBV) voraus, der vor dem Landgericht München I weiter ausgetragen wird.
O2 hatte nicht sämtliche ihrer Kunden automatisch auf den ab dem 15. Juni 2017 anzuwendenden günstigeren, regulierten Tarif ohne Roaming-Aufschläge umgestellt. Ein Teil der Kunden musste per SMS den Tarif aktiv ändern, um vom Wegfall der Roaming-Zuschläge zu profitieren. Zwar hatte der Anbieter im Internet darüber informiert, dass diese O2-Kunden nur dann von den neuen Roaming-Vorschriften profitieren könnten, wenn sie aktiv per SMS und/oder mittels der O2-App in diesen neuen Roaming-Tarif wechseln. Verbraucher, die das nicht taten, hatten höhere Mobilfunkpreise zu zahlen als sie bei Umstellung gezahlt hätten. Der VZBV sah hierin einen Verstoß gegen die sogenannte Roaming-Verordnung (EU-Verordnung Nr. 531/2012 über das Roaming in öffentlichen Mobilfunknetzen, die Fassung wurde mehrfach geändert; hier die unverbindliche konsolidierte Fassung ) und erhob vor dem LG München I Klage auf Unterlassung dieser Praxis. Das LG legte einen Teil der Rechtssache dem EuGH zur sogenannten Vorabentscheidung vor.
Legt ein Gericht innerhalb der EU – z.B. das LG München – seiner Bewertung eines Rechtsstreits europäisches Recht zugrunde – wie hier die EU-Roaming-Verordnung – kann es bei Zweifeln über die richtige Anwendung von EU-Recht den EuGH anrufen. Der urteilt dann nicht insgesamt über den Fall. Er erläutert vielmehr im Rahmen einer Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der EU ) wie EU-Recht zu verstehen ist. Verbindlich für sämtliche Stellen in der EU, verbindlich damit auch für das LG München.
Der EuGH entschied wie vom VZBV erhofft. Sämtliche Tarife waren automatisch umzustellen.
Telefónica hatte demgegenüber vorgetragen, dass im Rahmen der Anwendung der Roaming-Verordnung zwei Arten von Roamingtarifen zu unterscheiden seien, nämlich der regulierte Tarif und der sogenannte „alternative“ Tarif. Der regulierte Tarif (in der Diktion der Telefónica Roaming Basic, Weltzonenpack und mobiles Internet Ausland) sei ein Standardtarif, bei dem grundsätzlich keine Aufschläge auf den inländischen Endkundentarif erhoben werden dürften, während der alternative Tarif vom inländischen Endkundentarif abweichende Bedingungen vorsehen dürfe. Die Verordnung verlange nach Ansicht Telefónicas für Kunden, die sich bereits vor dem 15. Juni 2017 im regulierten Tarif befunden hätten, eine automatische Umstellung. Die Pflicht zur automatischen Umstellung gelte nach Art. 6e Abs. 3 der Verordnung jedoch nicht für Kunden, die sich zum 15. Juni 2017 im alternativen Tarif befunden hätten.
Dem folgte der EuGH nicht. Der EuGH stützte seine Entscheidung u.a. auf Art. 6a der Verordnung . Darin heißt es: „Roaminganbieter dürfen ihren Roamingkunden ab dem 15. Juni 2017, … vorbehaltlich der Artikel 6b und 6c, für die Abwicklung abgehender oder ankommender regulierter Roaminganrufe, für die Abwicklung versendeter regulierter SMS-Roamingnachrichten oder für die Nutzung regulierter Datenroamingdienste, einschließlich MMS-Nachrichten, im Vergleich mit dem inländischen Endkundenpreis in einem Mitgliedstaat weder zusätzliche Entgelte noch allgemeine Entgelte für die Nutzung von Endgeräten oder von Dienstleistungen im Ausland berechnen.“
Art. 6a der Verordnung sehe keine Ausnahmen oder Vorbehalte in Bezug auf diese „Roamingkunden“ und erst recht keine Vorbehalte in Bezug auf die Frage vor, ob die Kunden bisher nach einem anderen Tarif abgerechnet wurde. (Die einzigen in Art. 6a angeführten Vorbehalte ergäben sich aus Art. 6b („Angemessene Nutzung“) und Art. 6c („Tragfähigkeit der Abschaffung der Endkunden-Roamingaufschläge“), die den Rahmen festlegen, in dem die Roaminganbieter eine Regelung für die angemessene Nutzung des Tarifs anwenden können bzw. ausnahmsweise einen Roamingaufschlag erheben können. Für den zu beurteilenden Fall sind Art. 6b und 6c aber nicht relevant.)
Dass der Anbieter automatisch umzustellen habe, ergebe sich auch aus Art 6e Abs.3 der Verordnung: Wolle der Kunde nämlich einen anderen Tarif als den Standardtarif haben, müsse er das per Opt-Out wählen. Nicht umgekehrt per Opt-In, um den Standardtarif zu erhalten. Und in Abs.3, Halbsatz 2 der Verordnung heißt es, dass die Anbieter den regulierten Tarif (also ohne Roaming-Aufschlag) „auf alle bestehenden und neuen Roamingkunden automatisch“ anzuwenden haben.
Dieser Automatismus stimme auch mit dem in Art. 1 Abs.2 formulierten Ziel der Verordnung überein, im Unionsgebiet „einen Binnenmarkt für Mobilfunkdienste zu schaffen, auf dem schließlich nicht mehr zwischen Inlands- und Roamingtarifen unterschieden wird“. Durch die Automatisierung der Neutarifierung werde dieses Ziel effektiv umgesetzt, während eine Opt-in-Lösung – weil sie ein aktives Handeln des Kunden voraussetzt – dem Zweck zuwiderlaufe.
Das LG München I wird jetzt unter Beachtung der Auslegung der Roaming-Verordnung, die diese durch das Urteil des EuGH erfahren hat, seinen Prozess in der Sache VZBV gegen Telefónica fortsetzen.
2. Und wie funktioniert Roaming in groben Zügen?
Als Roaming wird die Gesamtheit der technischen Einrichtungen bezeichnet, mit der Teilnehmer eines Mobilfunknetzes in fremden Mobilfunknetzen Sprach- oder Datendienste in Anspruch können.
Dabei ist zwischen nationalem und internationalem Roaming zu unterschieden. Das nationale Roaming wurde z.B. früher in Deutschland von Anbietern genutzt, um Gebiete mit schlechter Mobilfunkversorgung über das besser ausgebaute Netz eines anderen Anbieters für ihre jeweiligen Kunden zu erschließen. So war es lange Zeit üblich, dass die sogenannten E-Netze (z.B. E-Plus) auf D-Netze (z.B. T-Mobile, ehemals D1-Telekom) zurückgegriffen haben, bis der flächendeckende Ausbau dieser E-Netze abgeschlossen war.
Im allgemeinen Sprachgebrauch wird unter Roaming üblicherweise die Nutzung des eigenen Mobilfunkgeräts im Ausland verstanden, also internationales Roaming.
Technisch gesehen gibt es zwischen nationalem und internationalem Roaming keine Unterschiede.
Die Berechtigung, fremde Netze zu nutzen, beruht auf dem Tarif, den der Teilnehmer mit dem Betreiber seines Heimnetzes vereinbart hat. Im HLR (Home Location Register) wird die Berechtigung, fremde Netze zu nutzen, durch den Betreiber gemäß den vereinbarten Vertragsbedingungen festgelegt. Versucht sich nun ein Teilnehmer außerhalb seines Heimnetzwerks in das Mobilfunknetz eines anderen Betreibers einzubuchen, prüft dieses fremde Netzwerk den Teilnehmer in seiner eigenen HLR. Ist dort kein Eintrag vorhanden, fordert das Fremdnetzwerk die Daten im Heimnetzwerk des Teilnehmers an, legt bei positiver Autorisierung einen Eintrag in seinem VLR (Visitor Location Register) an und der Teilnehmer wird für die Nutzung des fremden Mobilfiunknetzes freigegeben. Authentifizierung, Autorisierung und Abrechnung erfolgen über die zwischen allen Mobilfunkbetreibern etablierten Schnittstellen, über die auch die Verrechnung der Leistungen zwischen den Anbietern abgewickelt wird.
Diese Schnittstellenfunktion wird heutzutage größtenteils von Clearing-Häusern wahrgenommen. Diese Unternehmen kümmern sich um die weltweite Verteilung der Roaming-Daten, darüber hinaus um Abrechnungen und Prüfungen z.B. der Tarife und der Konsistenz der Daten, die die Mobilfunk-Anbieter den Clearinghäusern übermitteln.
Telekommunikationsrecht | Technik in der Telekommunikation
Art.6a und e Roaming-Verordnung
Koautor des Beitrags ist Igor Kurtovic, Partner bei NETSit, einer unabhängigen Unternehmensberatung in der Informations- und Telekommunikationsbranche mit Sitz in Bochum – netsit.net