Christian Kirchberger - Blog zum Recht der digitalen Wirtschaft

BGH – Lizenzschadenberechnung und Lizenzanalogie

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am 18.Juni 2020 zum Thema Lizenzschadenberechnung ein Urteil gesprochen. Darin beendet es den Meinungsstreit darüber, ob zum Zweck der Schadensberechnung im Anschluss an eine Urheberrechtsverletzung Lizenzverträge, die nach einer Abmahnung oder einem Hinweis auf die Rechtsverletzung geschlossen worden sind, herangezogen werden können. Der Senat entschied die Frage dahin, dass eine Lizenzvereinbarung nach Urheberrechtsverletzung „nicht ohne weiteres“ geeignet sei, den objektiven Wert für die Nutzung des urheberrechtlich geschützten Werks zu belegen (Urteil RN 23).

1. Sachverhalt

Die Klägerin bietet das Recht zur Nutzung von elektronischen Stadtplänen, an denen sie die ausschließlichen urheberrechtlichen Nutzungsrechte innehat, gegen Zahlung von Lizenzgebühren an. Die Beklagte hat zur Lagebeschreibung ihrer Standorte in Bayern im Zeitraum 2011-2013 auf ihrer Webseite unter vier verschiedenen Internetadressen Kartenausschnitte der Klägerin verwendet. Nach Abmahnung durch die Klägerin wegen der unerlaubten Online-Nutzung der Karten und nach Abgabe einer Unterlassungserklärung durch die Beklagte stritten die Parteien noch um den Ersatz von Schäden infolge der Urheberrechtsverletzung (Ermittlungskosten, Rechtsverfolgungskosten, Schaden durch unbefugte Nutzung der Karten). In der Revision vor dem BGH war noch die Höhe des Schadens für die unbefugte Nutzung des Kartenmaterials zwischen den Parteien streitig.

2. Entscheidung

Die Beklagte hat das Urheberrecht der Klägerin verletzt, weil sie Kartenmaterial der Klägerin online beliebigen Internetnutzern zur Verfügung stellte, das Material daher im Sinne von § 19a Urheberrechtsgesetz (UrhG) „öffentlich zugänglich“ machte. Dieses Recht steht allein dem Urheber zu, § 15 Abs.2 UrhG. Ohne Erlaubnis der klagenden Urheberin, die im zu entscheidenden Fall durch einen kostenpflichtigen Lizenzvertrag hätte eingeholt werden können, durfte die Beklagte das geschützte Material nicht auf ihren Webseiten nutzen.

Wer schuldhaft eine Urheberrechtsverletzung begeht, ist dem Urheberrechteinhaber zum Schadensersatz verpflichtet, § 97 Abs.2 UrhG.

Da die Beklagte ihren Verstoß hätte erkennen können, habe sie fahrlässig – also schuldhaft – gehandelt (Urteil RN 9).

Wie aber ist der Schaden zu berechnen, der dem Rechteinhaber dadurch entsteht, dass ein Unbefugter das geschützte Werk ohne seine Erlaubnis nutzt (hier durch Zugänglichmachen im Internet)? Das Gesetz formuliert in § 97 Abs.2: „1Wer die Handlung vorsätzlich oder fahrlässig vornimmt, ist dem Verletzten zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. 2Bei der Bemessung des Schadensersatzes kann auch der Gewinn, den der Verletzer durch die Verletzung des Rechts erzielt hat, berücksichtigt werden. 3Der Schadensersatzanspruch kann auch auf der Grundlage des Betrages berechnet werden, den der Verletzer als angemessene Vergütung hätte entrichten müssen, wenn er die Erlaubnis zur Nutzung des verletzten Rechts eingeholt hätte. …“. Satz 3 formuliert eine der möglichen Berechnungsmethoden als sogenannte Lizenzanalogie. Was hätte der Verletzer zahlen müssen, wenn er die Erlaubnis zur Nutzung des Urheberrechts (z.B. durch Lizenzvertrag) eingeholt hätte? Zu ermitteln ist ein objektiver Wert. Was hätten vernünftige Vertragsparteien als Vergütung für die konkrete Nutzung vereinbart?

Die eigene Lizenzierungspraxis der Klägerin hat der BGH im zu entscheidenden Fall als Grundlage für die Berechnung des Schadensersatzes im Wege der Lizentanalogie abgelehnt. Dazu im Einzelnen:

a. Lizensierungspraxis des Rechteinhabers

Zwar sei es so, dass die eigene Lizensierungspraxis des Rechteinhabers – also die Vereinbarung bestimmter Lizenzbeträge mit Geschäftspartnern für das Recht, das urheberrechtlich geschützte Werk auf bestimmte Arten zu nutzen – für die Berechnung des Schadensersatzes maßgeblich sein kann. Das gelte selbst dann, wenn der Rechteinhaber am Markt überdurchschnittliche Beiträge durchsetzen könne (Urteil RN 15).

b. Standardpreisliste

Der Verweis auf die eigene Standardpreisliste reiche für diesen Nachweis allerdings nicht aus; maßgeblich sei vielmehr der Nachweis, dass die Preise am Markt tatsächlich durchgesetzt werden können (Urteil RN 17).

c. Vergleichsfälle zum Nachweis der Lizensierungspraxis

Der Verweis auf die eigene repräsentative Lizensierungspraxis habe im konkreten Fall ebenso wenig ausgereicht. Zwar legte die Klägerin Lizenzverträge vor, die sie für gleichsetzbare Nutzung im fraglichen Zeitraum mit anderen Kunden abgeschlossen habe. Ein Großteil der vorgelegten Verträge war aber erst nach der Geltendmachung von Ansprüchen wegen einer Rechtsverletzung geschlossen wurde und könne deshalb nicht berücksichtigt werden (Urteil RN 18). Soll heißen: Wenn 1. der Rechteinhaber feststellt, dass ein anderer unerlaubt ein Werk des Rechteinhabers nutzt, so dass er Urheberrechte verletzt, 2. der Rechteinhaber dies dem Verletzter gegenüber anzeigt oder diesen abmahnt und 3. anschließend mit ihm über einen Lizenzvertrag für die Zukunft verhandelt, seien die dabei erzielten Preise in einer außergewöhnlichen Situation vereinbart und nicht die am Markt tatsächlich vom Rechteinhaber durchsetzbaren Preise.

„…vielmehr bilden sie (Anm. des Verfassers: die nach Anzeige/Abmahnung verhandelten Preise) darüber hinaus regelmäßig eine Gegenleistung für die einvernehmliche Einigung über mögliche Ansprüche aus der vorangegangenen Rechtsverletzung…. Dieser bei einem Nachlizenzierungsvertrag gegenüber einer freihändigen Lizenz vergütete `Mehrwert´steht typischerweise der Annahme entgegen, ein solcher Lizenzvertrag habe eine Indizwirkung für den `objektiven Wert der angemaßten Benutzungsberechtigung´…. Dem entspricht die zutreffende Annahme des Berufungsgerichts, der Verletzer werde in Lizenzvertragsverhandlungen angesichts eines ansonsten drohenden Rechtsstreits häufig von dem Ziel geleitet sein, eine (kostenintensive) gerichtliche Auseinandersetzung zu vermeiden …. Damit einher geht eine stärkere Verhandlungsposition der Rechtsinhaberin, die – gegen eine höhere Lizenzgebühr – den Verzicht auf eine gerichtliche Durchsetzung ihrer Ansprüche anbieten kann.“ (Urteil RN 23)

Ein Großteil der von der Klägerin vorgelegten Verträge habe daher Preise in einem Markt für Nachlizensierungen nach Anzeige/ Abmahnung belegt, nicht aber Preise, die frei am Markt erzielt wurden (Urteil RN 25).

Sollte ein Gericht Nachlizenzierungsverträge bei der Berechnung des Schadensersatzes im Wege der Lizenzanalogie zugrundelegen, führe dies außerdem „faktisch zu einem Verletzerzuschlag, der mit den Grundlagen des deutschen Schadensersatzrechts unvereinbar ist und dem der Gesetzgeber bei der Umsetzung der Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums eine Absage erteilt hat.“ (Urteil RN 26)

Kann der Rechteinhaber zum Zweck der Schadensberechnung im Wege der Lizenzanalogie nicht nachweisen, welche Preise er selbst am Markt für die fragliche Nutzungsart (hier: öffentliches Zugänglichmachen) tatsächlich erzielt hat, können branchenübliche Vergütungssätze und Tarife als Maßstab zugrunde gelegt werden. Der BGH rügte mit Blick auf diesen Bewertungsansatz im Weiteren die Berechnungspraxis des vorinstanzlichen Gerichts, weil es unterließ, ein neues Sachverständigengutachten einzuholen (Urteil RN 29 ff). Das zunächst eingeholte Sachverständigengutachten konnte für die Zwecke des Verfahrens nicht (vollständig) berücksichtigt werden: Der Sachverständige habe nachgewiesen, dass es weitere Anbieter gebe, die für gleichsetzbare Angebote ähnliche Preise wie die Klägerin verlangten. Er habe aber nicht belegt, dass die Wettbewerber diese Preise am Markt auch durchsetzen konnten (Urteil RN 32). Der BGH hob das Urteil des OLG München daher auf und verwies zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück. Das OLG führt den Prozess unter Beachtung der Urteilsbegründung des BGH fort.

3. Leitsatz des BGH und Bewertung

„Eine Lizenzierung nach Verletzung ist nicht ohne weiteres geeignet, den objektiven Wert der bloßen (zukünftigen) Nutzung zu belegen; entgolten wird damit regelmäßig mehr als nur die einfache Nutzung. Die nach einer Verletzung vereinbarten „Lizenzgebühren“ stellen nicht nur die Vergütung dar, die vernünftige Parteien als Gegenleistung für den Wert der künftigen legalen Benutzungshandlung vereinbart hätten; vielmehr bilden sie darüber hinaus regelmäßig eine Gegenleistung für die einvernehmliche Einigung über mögliche Ansprüche aus der vorangegangenen Rechtsverletzung. Dieser bei einem Nachlizenzierungsvertrag gegenüber einer freihändigen Lizenz vergütete „Mehrwert“ steht typischerweise der Annahme entgegen, ein solcher Lizenzvertrag habe eine Indizwirkung für den objektiven Wert der angemaßten Benutzungsberechtigung.“

Das Urteil des BGH ist zu begrüßen. Standardpreislisten taugen angesichts der z.B. in der IT- Praxis gewährten Rabatte schlechthin nicht. Entgeltvereinbarungen sind in der (IT-) Praxis auch Ergebnis von Verhandlungen, für die der Anbieter mit verschiedenen Argumenten Verhandlungsmasse angehäuft hat. Das Entgelt für eine Nachlizensierung im Anschluss an eine Verletzungshandlung spiegelt nicht das frei verhandelte Lizenzentgelt wider, sondern das Lizenzentgelt zuzüglich eines Ausgleichs für die Urheberrechtsverletzung. Zur Berechnung des objektivierten Schadens kann es nicht herangezogen werden.

 

Urheberrecht

§ 97 Abs. 2 Satz 1 und 3 UrhG

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