Christian Kirchberger - Blog zum Recht der digitalen Wirtschaft

OLG Frankfurt – zur Zulässigkeit einer Sperrandrohung für Telefonanschlüsse

Das OLG Frankfurt erinnerte in seinem Urteil vom 24.Oktober 2019, 6 U 147/18, daran, dass das Telekommunikationsgesetz (TKG) einige wenige Regelungen enthält, die das Zivilrecht des BGB modifizieren. Eine dieser Normen ist § 45k TKG (Sperre von Telefonanschlüssen).

Im Zivilrecht gilt, dass wer von einem anderen etwas verlangen kann, seine Verpflichtung zunächst nicht erfüllen muss, wenn erst der andere an der Reihe ist. § 320 BGB, der auf sogenannte gegenseitige Verträge (einer leistet, damit er etwas von seinem Vertragspartner erhält – etwa die Leasingraten für die Nutzung eines Kfz, den Kaufpreis für den Erwerb der Immobilie, das Honorar für die Baubetreuung) anzuwenden ist, drückt das so aus:

Abs. 1 „Wer aus einem gegenseitigen Vertrag verpflichtet ist, kann die ihm obliegende Leistung bis zur Bewirkung der Gegenleistung verweigern, es sei denn, dass er vorzuleisten verpflichtet ist. …“

Und in § 273 BGB, der auf jede Art von Schuldverhältnis (also jemand kann von einem anderen etwas verlangen, weil er kraft Gesetzes darauf einen Anspruch hat oder z.B. aus einem Vertrag) anwendbar ist, heißt es:

Abs. 1: „Hat der Schuldner aus demselben rechtlichen Verhältnis, auf dem seine Verpflichtung beruht, einen fälligen Anspruch gegen den Gläubiger, so kann er, sofern nicht aus dem Schuldverhältnis sich ein anderes ergibt, die geschuldete Leistung verweigern, bis die ihm gebührende Leistung bewirkt wird (Zurückbehaltungsrecht).“

45k Abs. 2 TKG modifiziert für Verträge über Telekommunikationsdienste die vorgenannten Rechte, die eigene Leistung zurückzuhalten, wenn der Vertragspartner nicht zahlt. Gerät der Anschlussinhaber in Zahlungsverzug, kann der Provider seine Leistung nicht ohne weiteres sperren (das ist die Terminologie des TKG), also zurückhalten (der Terminus des BGB).

Das OLG hat klargestellt, dass ein Telefondienste-Provider, der unberechtigt eine solche Telefonanschlusssperre androht, mit den Mitteln des Wettbewerbsrechts auf Unterlassung in Anspruch genommen werden kann.

  1. Sachverhalt

Der beklagte Mobilfunkprovider erteilte einer Kundin im Mai 2017 Rechnung für seine im Monat zuvor geleisteten Dienste. Die Rechnung enthielt u.a. einen Posten für ein „GPS-Auslandsverbindungsaufkommen“ in Höhe von € 1.250,99, das die Kundin im Juni 2017 schriftlich beanstandete. Erstens seien die Telefonverbindungen technisch offensichtlich nicht korrekt erfasst, stehen zweitens in einem krassen Missverhältnis zu den bisherigen Abrechnungen und drittens habe die Beklagte keine Transparenz- und Schutzvorkehrungen nach Art.15 der Roaming-Verordnung (EU Nr. 531/2012) getroffen. Die Kundin verlangte eine technische Prüfung gemäß § 45i TKG. Der beklagte Provider erteilte lediglich eine Gutschrift über die Hälfte des streitigen Abrechnungspostens in Höhe von € 646,47 und mahnte die Zahlung des Restbetrags an – versehen mit dem Vorbehalt, den fraglichen Telefonanschluss zu sperren, sollte der angemahnte Betrag nicht gezahlt werden.

  1. Voraussetzungen der Sperre nach § 45k Abs.2 TKG

Ein Provider von Telefondiensten im Sinne des TKG darf einen Anschluss erst dann sperren, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

  1. Der Teilnehmer (=Kunde, § 3 Nr.20 TKG) ist mit einem Betrag von mindestens € 75 in Verzug.
  2. Der Provider droht die Sperre mindestens 2 Wochen vorher an und weist den Teilnehmer dabei auf die Möglichkeit hin, Rechtsschutz vor den Gerichten zu suchen.
  3. Bei der Berechnung des Mindestbetrags von € 75 bleiben die Forderungen außen vor, die der Teilnehmer form- und fristgerecht und schlüssig begründet beanstandet hat, es sei denn, der Provider hat einen Titel (Urteil, Vollstreckungsbescheid) über diese streitige Forderung erhalten.
  4. Bei der Berechnung bleiben ebenfalls die Forderungen außen vor, die der Provider für Dritte im Sinne des § 45h Absatz 1 Satz 1 berechnet. Von dieser Ausnahme betroffen sind sämtliche Dienste und Forderungen Dritter, die mit der Rechnung des Providers für diese Dritten (z.B. ein fremder telefonischer Auskunftsdiensteleister) abgerechnet werden.
  5. Die Regelungen unter 3. und 4. gelten nicht, wenn der Provider den Teilnehmer aufgefordert hat, vorläufig den Durchschnittsbetrag gemäß § 45j TKG zu zahlen und der Teilnehmer diesen binnen 2 Wochen nicht zahlt. Der Provider hat also einen Anspruch auf Zahlung wenigstens des Betrags, der in den letzten 6 Monaten durchschnittlich anfiel.

 

§ 273 und § 320 BGB geben einer Vertragspartei das Recht, ihre Leistung zurückzuhalten, wenn die andere Vertragspartei in einem Dauerschuldverhältnis mit der Zahlung für bereits erbrachte Leistungen im Rückstand ist. Im Vertrag über Telefondienste ist das anders. Will der Provider sperren, müssen die oben aufgeführten weiteren Voraussetzungen – zugunsten des Kunden – erfüllt sein. § 45k Abs.2 TKG gilt für Telefondienste, unabhängig davon, ob mobil oder stationär. Er gilt nicht für sonstige Telekommunikationsdienste (Datendienste). Er ist zugunsten eines jeden Kunden anzuwenden, er ist keine Norm des Verbraucherschutzes.

Die Voraussetzungen waren im zu entscheidenden Fall nicht erfüllt. Die Kundin hatte den streitigen Betrag form- und fristgerecht beanstandet und die Beanstandung auch begründet. Eine gesetzliche Formvorschrift greift für die Beanstandungsfälle nicht, kann aber vertraglich (in der Praxis durch AGB) vereinbart sein (in der Praxis regelmäßig elektronisch oder schriftlich). Die Frist beträgt 8 Wochen, § 45i Abs.1 S.1 TKG. Die Kundin hat die Beanstandung mit 3 Einwänden begründet (dazu oben Nr. 1, Sachverhalt).

„Die Beanstandung war „schlüssig“ begründet (…). Insoweit kommt es nicht auf die materielle Richtigkeit des Vorbringens an. Nicht ausreichend ist zwar die bloße Aussage des Teilnehmers, nicht zahlen zu wollen, da er die Leistungen nicht in Anspruch genommen habe. Der Teilnehmer muss die äußeren Umstände so darstellen, dass sich bei objektiver Betrachtungsweise die Einwände als nachvollziehbar darstellen und Zweifel an dem rechtmäßigen Zustandekommen der Verbindung aufkommen lassen können. Wird eine bestimmte Rechnungsposition aufgrund unterschiedlicher und nachvollziehbarer Rechtsstandpunkte des Teilnehmers nicht bezahlt, lässt die Weigerung der Zahlung keinen Schluss darauf zu, dass er auch in anders gelagerten Fällen nicht bezahlen wird. Daher ist es dem Telekommunikationsanbieter zumutbar, die offenen Positionen in einem Verfahren ohne Sperre zu klären.“ (Urteil II.5.(2)(a))

„Die – auch im Vergleich zu früheren Zeiträumen – ungewöhnliche Höhe der Forderung stellt einen äußeren Umstand dar, der bei objektiver Betrachtungsweise Zweifel an dem rechtmäßigen Zustandekommen der Verbindung bzw. an der richtigen Erfassung des Gesprächsvolumens aufkommen lassen kann. Eine weitere Substantiierung kann von dem Kunden, der keinen Zugriff auf die Erfassungsdaten hat, nicht verlangt werden. Im Übrigen ist auch der Einwand nicht unschlüssig, dass die ungewöhnlich hohe Rechnung – eine zutreffende Erfassung vorausgesetzt – nur wegen Verletzung von Transparenz- und Schutzvorkehrungen der Beklagten zustande kam. Es kann angenommen werden, dass die Beklagte im Falle eines rechtzeitigen Warnhinweises den Auslandsdatenverkehr gestoppt hätte. Eine Warnung erfolgte nach den Angaben im Beanstandungsschreiben erst, als bereits ein Datenvolumen von 103.998 kB übertragen war. Ob eine entsprechende Verpflichtung zur Warnung tatsächlich bestand, braucht vorliegend nicht entschieden zu werden. Die in dem Beanstandungsschreiben geäußerte Rechtsauffassung war jedenfalls schlüssig.“ (Urteil II.5.(2) (b))

  1. Wirkung der technischen Prüfung auf die Rechnungsbeanstandung

Dem Provider half auch nicht, dass er nach Beanstandung eine technische Prüfung seiner Abrechnungssysteme vornahm, wie dies § 45i Abs.1 S.1 TKG vorschreibt, und einen Einzelverbindungsnachweis vorlegte.

Gemäß § 45i Abs.3 TKG ist es Sache des Providers von Telekommunikationsdiensten nachzuweisen, dass er seine Dienste bis zum technischen Übergabepunkt beim Kunden fehlerfrei erbracht hat. Ergibt die technische Prüfung Mängel, die sich auf die Berechnung des beanstandeten Entgelts zu Lasten des Kunden ausgewirkt haben können, wird widerleglich vermutet, dass das berechnete Verbindungsaufkommen falsch ist.

Ergibt der technische Prüfbericht, dass ein Mangel nicht vorgelegen hat, beseitige das die Beanstandungen der Kundin nicht, so das Oberlandesgericht. Nach dem klaren Wortlaut des § 45k Abs.2 S.2 TKG bestehe die Beanstandung fort, bis der Provider seine umstrittene Forderung tituliert hat (Urteil II.5.(3)(b)).

Der beklagte Provider hat sich mit Blick auf die Vorlage von Einzelverbindungsnachweis und Prüfbericht auf § 45i Abs.1 S.4, 2. Halbs.2 TKG berufen und gemeint, die Forderung werde gleichsam erneut fällig. So als seien die Einwände des Kunden durch den technischen Prüfbericht hinfällig geworden. Dieser Interpretation folgte das OLG zu Recht nicht. In § 45i Abs.1 S.4, 2. Halbs.2 TKG heißt es missverständlich, dass die mit der Abrechnung geltend gemachte Forderung durch Vorlage von Einzelentgeltnachweis und Prüfbericht fällig wird. Gemeint ist aber, dass eine beanstandete Forderung aus einer Abrechnung frühestens mit Vorlage von Einzelentgeltnachweis und Prüfbericht (wieder) fällig wird, falls es dem Provider nicht gelingt, die Unterlagen innerhalb der gesetzlichen Frist von 8 Wochen herbeizuschaffen. Mit dieser Regelung solle der Provider angehalten werden, die Unterlagen innerhalb der gesetzlichen Frist von 8 Wochen ab Beanstandung und nicht später vorzulegen. An den weiteren Voraussetzungen für den Bestand umstrittener Forderungen ändere § 45i Abs.1 S.4, 2. Halbs. TKG nichts. Halbsatz 2 sei eine reine Fälligkeitsregelung. Dass mit Vorlage des Prüfberichts die Einwände der Kundin widerlegt seien und die Richtigkeit des Zahlungsanspruchs des TK-Providers bewiesen, ergebe sich aus § 45i Abs.1 S.4  TKG nicht.

  1. Unterlassungsanspruch nach Wettbewerbsrecht

Die Sperrandrohung, als Drohung mit einem rechtlich unzulässigen Handeln im Sinne des § 4a Abs.2 Nr.5 UWG, sei eine unzulässige Beeinflussung der Kundin und also unlauter im Sinne des § 4a Abs.1 S.2 Nr.3 und S.3 UWG.

Als unlautere Handlung ist sie unzulässig, § 3 Abs.1 UWG, und kann in Anwendung von § 8 UWG mit der Unterlassungsklage verfolgt werden.

Nach Auffassung des OLG handele es sich bei der Sperrandrohung um eine Drohung im Sinne von § 4a Abs.2 Nr.5 UWG.

„Die Ankündigung der Beklagten, sich im Falle einer nicht fristgemäßen Zahlung die Sperrung des Mobilfunkanschlusses vorbehalten, ist als Drohung, nämlich das Inaussichtstellen eines zukünftigen Übels zu verstehen. Maßgeblich ist insoweit die Verkehrsauffassung. Der Verbraucher ist in aller Regel auf seinen Mobilfunkanschluss dringend angewiesen. Viele Bürger verfügen über keinen Festnetzanschluss und wickeln ihre gesamte Kommunikation einschließlich Banktransaktionen, Behördengängen, Bahn- und Flugtickets, Einkäufen etc. über den Mobilfunkanschluss ab. Die Sperrung stellt sich daher als erhebliches „Übel“ dar. Entgegen der Ansicht der Beklagten fehlt es nicht deshalb an einem Inaussichtstellen, weil sie sich in dem Schreiben die Sperrung lediglich „vorbehalten“ hat. Nach der Verkehrsauffassung ist das so zu verstehen, dass bei nicht fristgemäßer Zahlung mit der Sperrung unmittelbar zu rechnen ist. Auch eine Relativierung im Hinblick auf die rechtliche Zulässigkeit der Sperre erfolgte nicht.“

Und die Drohung mit einer Sperre des Mobilfunkanschlusses, ohne dass die Voraussetzungen des § 45k Abs.2 TKG vorgelegen hätten, wiege so schwer, dass sie als aggressive Geschäftspraxis zu qualifizieren sei.

 

Telekommunikationsrecht | Wettbewerbsrecht

§ 45k Abs.2 TKG § 45i TKG, § 4a UWG

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