Christian Kirchberger - Blog zum Recht der digitalen Wirtschaft

BVerwG – Geschäftsgeheimnis kann neben dem Inhalt auch äußere Merkmale von Dateien (wie Dateiname, Dateiendung, Dateityp, Dateigröße) umfassen

(Foto: Kirchberger/Kirchberger) Seit Verabschiedung des Geschäftsgeheimnisgesetzes (GeschGehG) im April 2019 genießen Geschäftsgeheimnisse in Deutschland einen an zentraler Stelle kompakt geregelten umfassenden Schutz. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) setzte sich in seinem Beschluss vom 05.03.2020 – BVerwG 20 F 3.19 – mit der Frage auseinander, ob eine Behörde die Vorlage von Unterlagen in einem Verwaltungsrechtsstreit zum Schutz der Geschäftsgeheimnisse eines Unternehmens verweigern durfte. Das BVerwG hat den Schutz von Geschäftsgeheimnisse nach dem GeschGehG weit gefasst und die Verweigerung der Vorlage im zu entscheidenden Fall für rechtmäßig erklärt.

  1. Sachverhalt

In einem Verwaltungsstreitverfahren verlangte ein klagendes Ingenieurbüro von der beklagten Bundesbehörde Zugang zu Unterlagen aus einem bei der Behörde geführten Verfahren über die Bauartzulassung von Geschwindigkeitsmessgeräten eines anderen Unternehmens. Die Beklagte verweigerte die Vorlage eines Teils der Unterlagen im Prozess, schwärzte einen Teil der offengelegten Unterlagen und gab eine Sperrerklärung hinsichtlich der zurückbehaltenen Informationen ab mit dem Hinweis, diese enthielten Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse.

  1. Geschäftsgeheimnisgesetz im Verwaltungsprozess

Geschäftsgeheimnisse im Sinne des Geschäftsgeheimnisgesetzes sind Informationen, (a) die geheim sind, d.h. weder allgemein bekannt noch ohne weiteres zugänglich, (b) einen wirtschaftlichen Wert haben, (c) von ihren Inhabern durch angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen geschützt sind und (d) an denen ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse besteht, § 2 Nr.1 GeschGehG. Einen Unterschied zwischen kaufmännischen und technischen Informationen macht der Begriff des Geschäftsgeheimnisses nicht, beide sind vom GeschGehG erfasst (BT-Drs. 19/4724 S. 24).

Diese Tatbestandsvoraussetzungen hätten im zu entscheidenden Fall vorgelegen, denn mit den fraglichen Informationen (Unterlagen wie Konstruktionszeichnungen, Schaltpläne, Bauteillisten, Platinenlayouts und Bestückungspläne, Erläuterungen des Messprinzips und die Details seiner Umsetzung sowie der Quellcode der Messgerätesoftware) wäre ein Konkurrenzunternehmen in der Lage, das jeweilige Gerät komplett nachzubauen. Die Unterlagen wurden bei dem Inhaber deshalb auch unter Verschluss gehalten. Die herausverlangten Unterlagen seien nach Auffassung des BVerwG also Geschäftsgeheimnisse.

Das GeschGehG enthält einen Katalog erlaubter Handlungen in § 3 und einen Katalog von Handlungsverboten in § 4, Ausnahmen davon in § 5. Die §§ 6 bis 14 GeschGehG enthalten die Rechtsfolgen für den Fall, dass die Rechte eines Inhabers von Geschäftsgeheimnissen durch rechtswidriges Erlangen, Offenlegen oder Nutzen eines Geschäftsgeheimnisses verletzt sind. Der Anspruchskanon umfasst neben Schadensersatzansprüchen (§ 10 GeschGehG) auch Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche (§ 6 GeschGehG), Vernichtungs-, Herausgabe- und Rückrufansprüche (§ 7 GeschGehG) sowie Auskunftsansprüche (§ 8 GeschGehG). Seine Rechte kann der Inhaber von Geschäftsgeheimnissen in zivilrechtlichen Gerichtsverfahren geltend machen, für die die §§ 15 bis 22 GeschGehG Prozessregelungen vorsehen, wie z.B. in § 19 die Beschränkung der Anzahl von Personen, die Zugang zu relevanten Dokumenten sowie den Zugang zur mündlichen Verhandlung erhalten.

Das Geschäftsgeheimnisgesetz wirkt sich auch an anderer Stelle des Prozessrechts zugunsten des Inhabers aus: Gemäß § 99 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) sind Behörden grundsätzlich verpflichtet, Urkunden oder Akten vorzulegen, elektronische Dokumente zu übermitteln und Auskünfte zu erteilen. Die zuständige oberste Aufsichtsbehörde kann das unter anderem dann verweigern, wenn „die Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen, …“, § 99 Abs.1 S.2 VwGO. Zu den Vorgängen, die nach Rechtsauffassung des BVerwG geheim zu halten seien, zählen Geschäftsgeheimnisse im Sinne des GeschGehG (Beschluss RN 11). Da die im fraglichen Fall herausverlangten Unterlagen Geschäftsgeheinisse seien, habe die Bundesbehörde die Sperre der Unterlagen (unter korrekter Ausübung ihres Ermessens, dazu Ziffer 4) zu Recht erklärt und den Zugang zu den Unterlagen zu Recht verweigert.

  1. Äußere Merkmale von Dateien als Geschäftsgeheimnis

Die den Zugang zu bestimmten Informationen verweigernde Bundesbehörde hatte einen Teil der offengelegten Unterlagen geschwärzt. Dabei handelte es sich um Zusammenstellungen und Listen von Dateinamen, -typen und -größen einschließlich der zugehörigen Anmerkungen und Erläuterungen betreffend Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse des Inhabers. Nach Auffassung des BVerwG erstrecke sich der Geheimnisschutz – und daher auch die Berechtigung zur Verweigerung ihrer Offenlegung – auch auf diese Zusammenstellungen und Listen.

Zwar ließen bestimmte Dateiendungen lediglich den Schluss auf Programmiersprachen zu, die als solche der Öffentlichkeit bekannt seien. Und auch Dateigrößen seien isoliert betrachtet keine Werte, die auf schutzwürdige Geheimnisse hindeuten.

Entscheidend sei aber,

„dass die geschwärzten Informationen nicht isoliert, sondern in ihrem Gesamtzusammenhang und ihrem gerätespezifischen Bezug zu sehen sind und deshalb insgesamt vor einer Offenlegung zu schützen sind. Denn der Schutz des Geschäftsgeheimnisses umfasst – wie § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG zeigt – nicht nur das Verbot des unbefugten Zugriffs auf Dateien, die das Geschäftsgeheimnis enthalten, sondern auch bereits die Verhinderung des Zugangs zu Dateien, aus denen sich das Geschäftsgeheimnis ableiten lässt. Dementsprechend sind auch die äußeren Merkmale von Dateien (wie Dateiname, Dateiendung, Dateityp und Dateigröße oder ähnliche Metadaten) geheimzuhalten, die Rückschlüsse auf das Geschäftsgeheimnis zulassen.“ (Beschluss RN 16)

Das BVerwG wies im Weiteren detailliert nach, dass Experten Rückschlüsse aus den Details der geheim gehaltenen Zusammenstellungen und Listen ziehen könnten (Beschluss RN 17 bis 22). Die Kenntnis der Dateinamen (und der dahinterstehenden Programmbibliotheken) würden in diesem Bereich dem Fachmann weitreichende Schlüsse auf das vom Inhaber investierte Know-how erlauben. Das gelte insbesondere, wenn sich über die Kenntnis der Dateiendung die verwendete Programmiersprache erschließen lässt, und werde bis hin zur Erstellung eines Gesamtbilds erweitert, je mehr Dateien offengelegt sind und sich in ihren Informationen miteinander verknüpfen lassen. Rückschlüsse ließen sich auch aus den Dateigrößen ziehen, weil sich in Kombination mit den Dateinamen Hinweise darauf ergäben, welchen Aufwand der Hersteller betrieben hat, um die mit dem Dateinamen bezeichnete Funktionalität einzufügen.

  1. Ermessensausübung

Gemäß § 99 Abs. 1 S.2 VwGO kann die oberste Aufsichtsbehörde die Vorlage von Urkunden oder Akten, die Übermittlung der elektronischen Dokumente und die Erteilung der Auskünfte verweigern, u.a. wenn die Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen. Die Behörde hat also ein Entscheidungsermessen, das sie fehlerfrei ausüben muss. Im vorliegenden Fall musste das BVerwG das Interesse der Behörde und des Klägers an effektivem Rechtsschutz und an dem Interesse des Klägers am Zugang zur Information gegen den Schutz von Geschäftsgeheimnissen des Beklagten abwägen. Bei der Abwägung falle dem grundrechtlich geschützten Geschäftsgeheimnis das größere Gewicht zu. Der Schutz von Geschäftsgeheimnissen leitet sich aus den Artikeln 12 und 14 des Grundgesetzes (GG) ab. Art. 12 GG schützt die Berufsfreiheit und Art. 14 GG das Eigentum. Beeinträchtigungen von Grundrechten sind aber nur dann zulässig, wenn sie durch hinreichende, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügende Gründe gerechtfertigt werden. Die Interessen an effektivem Rechtsschutz und am Zugang zu Informationen stünden dem Geheimhaltungsinteresse des Beklagten nicht gleich, der Grundrechtsschutz überwiege (Beschluss RN 24).

  1. Kernaussagen
  • Der Schutz von Geschäftsgeheimnissen umfasst nicht nur das Verbot des unbefugten Zugriffs auf den Inhalt von Dateien, die das Geschäftsgeheimnis enthalten, sondern auch bereits die Verhinderung des Zugangs zu äußeren Merkmalen von Dateien (wie Dateiname, Dateiendung, Dateityp, Dateigröße), aus denen sich das Geschäftsgeheimnis ableiten lässt (Leitsatz des Gerichts)
  • Das durch Artt. 12 und 14 GG geschützte Geschäftsgeheimnis ist gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Wahrheitsfindung und effektivem Rechtsschutz und dem privaten Interesse an Zugang zu Informationen gegenüber höherrangig.

 

Geschäftsgeheimnisse

§ 2 Nr.1 GeschGehG, § 99 Abs.1 VwGO

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