Christian Kirchberger - Blog zum Recht der digitalen Wirtschaft

EuGH – Online-Vertrieb gebrauchter digitaler Werke (anderer als Computerprogramme) unzulässig

Der EuGH hat am 19.12.2019 entschieden, dass der „Weiterverkauf gebrauchter E-Books“ gegen Urheberrecht verstößt.

Der EuGH bestätigt als final zur Auslegung von Europarecht berufene Instanz die in Deutschland etablierte Rechtsprechung zur Abgrenzung von öffentlicher Wiedergabe zum Verbreitungsrecht im Sinne des Urheberrechts. Die Abgrenzung ist relevant, weil das Verbreitungsrecht des Inhabers von Urheberrechten eine wesentliche Einschränkung vorsieht, die das Recht der öffentlichen Wiedergabe des Rechteinhabers nicht kennt: Den Erschöpfungsgrundsatz.

I. Sachverhalt

Die Rechtbank Den Haag hat dem EuGH Fragen zur Auslegung des europäischen Urheberrechts vorgelegt. Ihnen liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Ein Niederländisches Unternehmen bot online seinen Mitgliedern gegen Zahlung „gebrauchte“ E-Books an. Die E-Books hatte der Anbieter entweder selbst erworben oder sich von Mitgliedern schenken lassen. Nach Bezahlung konnte das Mitglied das jeweilige E-Book zur dauerhaften Nutzung herunterladen und es konnte das E-Book später an den Anbieter zurückverkaufen.

II. Der Erschöpfungsgrundsatz

Zu den Verwertungsrechten der Inhaber von Urheberrechten zählt das Recht, ihr Werk, also das Original ihrer Werke oder Vervielfältigungsstücke, an die Öffentlichkeit in beliebiger Form durch Verkauf oder auf sonstige Weise zu verbreiten (Verbreitungsrecht). Das Recht schließt andere von der Verbreitung ohne Zustimmung des Rechteinhabers aus, es ist exklusiv. Dieses Recht garantiert Art.4 Abs.1 der Richtlinie 2001/29 EG – die Urheberrechterichtlinie (UrhRL). In das deutsche Recht transformiert wurde Art.4 Abs.1 UrhRL durch §§ 15 Abs.1 und 17 des Urheberrechtsgesetzes (UrhG) .

Das Verbreitungsrecht wird durch den Erschöpfungsgrundsatz erheblich eingeschränkt: „Das Verbreitungsrecht erschöpft sich in der Gemeinschaft in Bezug auf das Original oder auf Vervielfältigungsstücke eines Werks nur, wenn der Erstverkauf dieses Gegenstands oder eine andere erstmalige Eigentumsübertragung in der Gemeinschaft durch den Rechtsinhaber oder mit dessen Zustimmung erfolgt.“, Art.4 Abs.2 UrhRL. Das bedeutet, das exklusive Recht des Inhabers, das Werk zu verbreiten, gilt nicht mehr, sobald das Werk erstmals durch ihn oder mit seiner Zustimmung in der EU verkauft wurde. (Dem Verkauf stehen andere Übertragungsweisen gleich, wenn sie zum Eigentumswechsel führen.) Der Erwerber hat dann seinerseits das Recht, das von ihm gekaufte Werk zu verbreiten, es insbesondere selbst zu verkaufen. In das deutsche Urheberrecht ist der Erschöpfungsgrundsatz mit § 17 Abs.2 UrhG inkorporiert worden.

Neben dem Verbreitungsrecht aus Art.4 UrhRL und §§ 15 Abs.1 und 17 UrhG steht das Recht zur öffentlichen Wiedergabe, das wiederum in Art.3 UrhRL und § 15 Abs.2 und 3, §§ 19 bis 22 UrhG normiert ist.

Das Recht der öffentlichen Wiedergabe steht ebenfalls exklusiv beim Rechteinhaber. Eine Einschränkung wie das Verbreitungsrecht durch Erschöpfung kennt das Recht der öffentlichen Wiedergabe nicht.

Für den zu beurteilenden Fall kommt es also darauf an, ob die Online-Vermarktung der E-Books durch den niederländischen Anbieter als Verbreitung im Sinne einer Zweitverwertung gemäß Art.4 Abs.2 UrhRL zu qualifizieren ist oder als öffentliche Wiedergabe. Die öffentliche Wiedergabe bedarf der Zustimmung der Inhaber der Urheberrechte an den E-Books. Der niederländische Anbieter verhielte sich rechtswidrig, denn die Zustimmung derer, die die Urheberrechte an den E-Books hielten, hatte er nicht. Die Zweitverwertung durch Verbreitung von durch Kauf (oder sonstigem Eigentumserwerb, z.B. infolge Schenkung) erworbenen E-Books wäre dagegen erlaubnisfrei und das Geschäftsmodell des niederländischen Anbieters hätte vor dem Urheberrecht Bestand.

III. Entscheidung des EuGH

Der EuGH entschied zugunsten der Rechteinhaber. Die Überlassung eines E-Books zur dauerhaften Nutzung an die Öffentlichkeit durch Herunterladen fällt unter den Begriff der “öffentlichen Wiedergabe” und insbesondere unter den Begriff der “Zugänglichmachung“ der Werke im Sinne von Art.3 Abs.1 der UrhRL. Damit kann der niederländische Anbieter sich auf den Erschöpfungsgrundsatz nicht berufen, sein Geschäftsmodell verstößt gegen Urheberrecht.

In seiner umfangreichen Begründung führt der EuGH aus, dass sich seine Entscheidung nicht aus dem Wortlaut von Art 3 und 4 UrhRL ergebe, der sei insoweit nicht eindeutig.

Für die Auslegung europäischen Rechts sind Kontext und Ziel der Rechtsnormen heranzuziehen.

  1. WCT

Aus Erwägungsgrund 15 der UrhRL ergebe sich, dass die Richtlinie im Einklang mit Definitionen des WIPO Copyright Treaty (WCT)  auszulegen sei. Art 6 WCT (Verbreitungsrecht) betreffe nur körperliche Gegenstände (Originale und ihre Vervielfältigungsstücke) [Urteil RN 39, 40].

  1. Historie

Bereits zur Begründung ihres Richtlinienvorschlags habe die EU-Kommission angeführt, dass die interaktive Übertragung auf Abruf zur öffentlichen Wiedergabe zählt und nicht zur Verbreitung körperlicher Vervielfältigungsstücke [Urteil RN 43-45].

  1. Ziele der UrhRL

Zu den Zielen der UrhRL zählen die Förderung der Entwicklung der Informationsgesellschaft (Erwägungsgründe 2 und 5 der Richtlinie) und ein hohes Schutzniveau für Urheber (Erwägungsgründe 4, 9, 10 UrhRL). Demzufolge sei der Begriff der öffentlichen Wiedergabe gegen die Verbreitung weit auszulegen [Urteil RN 47, 48].

Zudem ergebe sich aus den Erwägungsgründen 28 und 29 der Richtlinie, dass die interaktive Übertragung auf Abruf für die Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl das ausschließliche Recht einschließt, die Verbreitung eines in einem Gegenstand verkörperten Werks zu kontrollieren [Urteil RN 51].

Das öffentliche Zugänglichmachen ist eine Unterart der öffentlichen Wiedergabe im Sinne des Art.3 der UrhRL. Das öffentliche Zugänglichmachen setzt voraus, dass der betreffenden Öffentlichkeit der Zugriff auf den betreffenden Schutzgegenstand sowohl von Orten als auch zu Zeiten ihrer Wahl ermöglicht wird, ohne dass es darauf ankommt, ob die Mitglieder dieser Öffentlichkeit diese Möglichkeit nutzen oder nicht [Urteil RN 63ff]. Im vorliegenden Fall hat der Anbieter jedem Interessierten, der sich auf den Webseiten des Anbieters registrierte, die Werke / E-Books zur Verfügung gestellt – und da online: zu jeder Zeit und von jedem Ort.

Öffentliche Wiedergabe” im Sinne des Art.3 UrhRL setzt voraus, dass die geschützten Werke tatsächlich öffentlich wiedergegeben werden, und diese Wiedergabe auf eine unbestimmte Zahl möglicher Adressaten abzielt. Jedoch geht aus der Begründung des Richtlinienvorschlags auch hervor, dass zum einen das Recht der öffentlichen Wiedergabe auch einschlägig ist, wenn mehrere nicht miteinander verbundene Personen (Mitglieder der Öffentlichkeit) von verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten individuellen Zugang zu einem Werk haben können, das der Öffentlichkeit auf einer Website zugänglich ist, und zum anderen, dass die Öffentlichkeit aus einzelnen Mitgliedern der Öffentlichkeit besteht. Der Begriff “öffentlich” meint eine bestimmte Mindestschwelle, womit dieser Begriff eine allzu kleine Zahl betroffener Personen ausschließt, und ferner, dass die kumulative Wirkung zu berücksichtigen ist, die sich aus der Zugänglichmachung eines geschützten Werks durch Herunterladen bei den möglichen Adressaten ergibt. Somit ist insbesondere zu berücksichtigen, wie viele Personen gleichzeitig Zugang zu demselben Werk haben können, aber auch, wie viele von ihnen nacheinander Zugang zu diesem Werk haben können [Urteil RN 67, 68].

Im zu entscheidenden Fall konnte jeder Interessent Mitglied werden. Ferner fehlten technische Vorrichtungen, die verhindert hätten, dass eine unbestimmte Anzahl an Personen gleichzeitig oder nacheinander beliebig oft auf das jeweils geschützte Werk zugreifen konnten. Die geschützten Werke hat der Anbieter daher auch im Sinne des Art.3 UrhRL öffentlich wiedergegeben.

IV. E-Book ist kein Computerprogramm

Anders ist die Rechtslage, wäre ein E-Book ein Computerprogramm. Das ist es aber nicht. Urheberrechte an Computerprogrammen sind in der Softwarerichtlinie RL 2009/24 (SoftwareRL) geregelt. Sie gehen als das speziellere Recht der UrhRL im Range vor. In das deutsche Recht sind sie durch die §§ 91a ff UrhG transformiert worden. Für Werke im Sinne der SoftwareRL ist die Online-Verbreitung im Sinne einer Zweitverwertung rechtmäßig.

Wie die UrhRL zählt die SoftwareRL das Recht zur Verbreitung des Werks zu den Handlungen, die ausschließlich dem Urheber zustehen, Art.4 Abs.1 SoftwareRL. Wenn die Erschöpfung greift, findet das exklusive Verbreitungsrecht sein Ende, Art.4 Abs.2 UrhRL. Der EuGH hatte in „Usedsoft“ bereits entschieden, dass der Download von Software zur Nutzung auf Dauer Verbreitung ist und dass das exklusive Verbreitungsrecht des Herstellers der Software mit dem Erstverkauf einer Programmkopie in der EU durch den Rechteinhaber oder mit seiner Zustimmung erlischt (Erschöpfungsgrundsatz).

In Bezug auf die Abgrenzung zwischen öffentlicher Wiedergabe und Verbreitung behandelt der EuGH Software und andere urheberrechtlich geschützte Werke also unterschiedlich. Die SoftwareRL stellt körperliche (z.B. DVD) und nicht körperliche Werke (Download) in Bezug auf Verbreitung und den Erschöpfungsgrundsatz gleich [Urteil RN 55, 56]. Die UrhRL tut das nicht.

Die Notwendigkeit, Werke im Sinne der UrhRL auf diese Weise zu differenzieren, folgert der EuGH aus einem Vergleich der Waren [Urteil RN 58]. Das Buch auf einem materiellen Träger (Print, CD) verschlechtert sich im Laufe der Zeit. Anders digitale Kopien. Sie lassen sich ohne Qualitätsverlust derart nutzen und vervielfältigen, dass sie als vollwertiger Ersatz für ein neues Werk verwendet werden können. Setzte der EuGH körperliche Werke und ihr digitales Pendant gleich, würden Hersteller mit Anbietern auf dem Zweitmarkt konkurrieren müssen und wären in der schlechteren Position. Die Interessen der Rechteinhaber würden zu stark beeinträchtigt.  

Es kommt also darauf an, ob ein E-Book Software im Sinne der SoftwareRL ist (dann Verbreitung und Erschöpfungsgrundsatz) oder ein anderes Werk im Sinne der UrhRL (dann öffentliche Wiedergabe ohne die Einschränkung des Erschöpfungsgrundsatzes). Das E-Book ist aber kein komplexer Gegenstand, der sich aus dem geschützten Werk und einen Computerprogramm zusammensetzt, mit der Folge, dass der Softwareanteil als Programm im Sinne der SoftwareRL zu behandeln wäre [Urteil RN 59]. Bei einem E-Book steht das literarische Werk im Vordergrund, das E-Book ist wegen seines Inhalts geschützt. Das Programm, das die Lesbarkeit des Buchs ermöglichen soll, tritt dahinter mit lediglich akzessorischem Charakter zurück. Ein E-Book ist also kein Computerprogramm im Sinne der SoftwareRL und daher nach den Rechtsvorschriften der UrhRL zu betrachten.  

Urheberrecht | IT-Recht

Urheberrechterichtlinie, Softwarerichtlinie,

Neuste Beiträge

Dieses Blog informiert über Themen des Rechts der Informationstechnologie, des Datenschutzes, des Internets und der Telekommunikation