Christian Kirchberger - Blog zum Recht der digitalen Wirtschaft

OLG Brandenburg – Daten haben keine Sachqualität

[OLG Brandenburg, Urteil vom 06.11.2019 – 4 U 123/19]

Rechtsanwälte einer Brandenburger Kanzlei, die im Wesentlichen Insolvenz- und Zwangsverwaltungen betrieb, machten gegeneinander Rechte an Insolvenzverfahrensakten und Daten im Rahmen der Kündigung eines der Rechtsanwälte gelten.

Dem klagenden Rechtsanwalt hatte die Sozietät gekündigt. Er war in der brandenburger Kanzlei angestellt, war dort im Rahmen von Insolvenzverwaltungen zweier Insolvenzverwalter, Rechtsanwälte in der Kanzlei, eingesetzt und führte auch selbst als Insolvenzverwalter Verfahren in dieser Kanzlei durch. Insoweit hatten Kläger und Beklagte vereinbart, dass der Kläger sich in Insolvenzverfahren zum Insolvenzverwalter bestellen lassen sollte, der Beklagten die Gesamtheit seiner Insolvenzverwaltervergütungen auskehre und im Gegenzug die Beklagte ihm das zugesagte Gehalt zahle, ihre sachlichen und personellen Ressourcen im brandenburgischen Büro zur Verfügung stelle und die Verwalterhaftung übernehme.

In den zu den Insolvenzverfahren geführten Akten waren die jeweiligen Bestellungsbeschlüsse, die kopierte Gerichtsakte, die Korrespondenz mit den Verfahrensbeteiligten, zum Teil auch die Geschäftsunterlagen, die Tabelle gemäß § 175 InsO sowie die Buchhaltungsunterlagen abgelegt worden. Außerdem befanden sich auf einem Server des brandenburger Büros Daten zu den Insolvenzverfahren des Klägers.

Nachdem die Sozietät 1746 Akten und die digitalen Inhalte vom Server der brandenburgischen Kanzlei, kopiert auf einen USB-Stick, an den Kläger herausgegeben hatte, stritten die Parteien u.a. darum, ob der Kläger beanspruchen könne, die Beklagten müssten es unterlassen, Akten und elektronische Daten der Insolvenzverfahren des Klägers einzusehen, zu duplizieren, auszuwerten und ggf. an Dritte weiterzugeben.

Das Brandenburgische Oberlandesgericht hatte Ansprüche zu prüfen, die dem Besitzer einer Sache allein aus dem Besitz, also der tatsächlichen Herrschaft über eine Sache, zustehen. Einen solchen Anspruch, der sich aus § 862 Abs. 1 BGB ergeben kann, lehnte das OLG ab, soweit es die elektronischen Daten betrifft, weil es den elektronischen Daten bereits an der Sacheigenschaft i. S. d. § 90 BGB fehle. Die Besitzschutzvorschriften finden daher keine Anwendung. Soweit in der Literatur eine analoge Anwendung des Besitzschutzes auf Daten befürwortet wird, überzeuge dies nach Auffassung des Gerichts nicht. Denn eine Analogie setzt auch die Vergleichbarkeit der zur Beurteilung stehenden Sachverhalte voraus. Also muss der zu beurteilende Sachverhalt (Besitzschutzansprüche auch für Daten?) in rechtlicher Hinsicht so weit mit dem Tatbestand, den der Gesetzgeber geregelt hat (Besitzschutz für Sachen), vergleichbar sein, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen. An dieser Vergleichbarkeit fehle es aber:

Daten können nicht die Körperlichkeit von Sachen i. S. d. § 90 BGB aufweisen, da sie sich anders als körperliche Gegenstände durch ihre Nicht-Rivalität, Nicht-Exklusivität und Nicht-Abnutzbarkeit auszeichnen, d. h. dass sie von einer Vielzahl von Nutzern verwendet werden können, ohne dass die Nutzung des jeweils anderen dadurch beeinträchtigt wird, dass sie ohne besonderen finanziellen Aufwand beliebig kopierbar sind und keiner Abnutzung oder Alterung unterliegen. Hinzu kommt, dass sich die Arbeitsgruppe „Digitaler Neustart“ der Justizministerinnen und Justizminister der Länder ausführlich mit dem Thema auseinandergesetzt hat und in ihrem 413 Seiten umfassenden Bericht festgestellt hat, dass ein „Dateneigentum“ oder ein anderes absolutes Recht an digitalen Daten in der gegenwärtigen Rechtsordnung nicht existiere.

„Daten können nicht die Körperlichkeit von Sachen i. S. d. § 90 BGB aufweisen, da sie sich anders als körperliche Gegenstände durch ihre Nicht-Rivalität, Nicht-Exklusivität und Nicht-Abnutzbarkeit auszeichnen, d. h. dass sie von einer Vielzahl von Nutzern verwendet werden können, ohne dass die Nutzung des jeweils anderen dadurch beeinträchtigt wird, dass sie ohne besonderen finanziellen Aufwand beliebig kopierbar sind und keiner Abnutzung oder Alterung unterliegen. Hinzu kommt, dass sich die Arbeitsgruppe „Digitaler Neustart“ der Justizministerinnen und Justizminister der Länder ausführlich mit dem Thema auseinandergesetzt hat und in ihrem 413 Seiten umfassenden Bericht festgestellt hat, dass ein „Dateneigentum“ oder ein anderes absolutes Recht an digitalen Daten in der gegenwärtigen Rechtsordnung nicht existiere.“

Unternehmen ist infolge der obergerichtlichen Bestätigung, dass es keinen Besitz und damit auch kein Eigentum an Daten gibt, zu empfehlen, Ansprüche auf Herausgabe, Zugriff, Einsichtnahme und sonstige Verwertung von Daten vertraglich zu regeln.

Am Rande: Im Übrigen ist das streitige Rechtsverhältnis der Parteien vom Auftragsrecht bestimmt. Bereits die Landesarbeitsgerichte Berlin-Brandenburg und Hamburg sehen in einer Konstellation, in der ein angestellter Rechtsanwalt sich als Insolvenzverwalter bestellen lässt und sämtliche Tätigkeiten in diesem Zusammenhang vereinbarungsgemäß auf Rechnung der anstellenden Sozietät ausführt, die im Gegenzug ihn im Innenverhältnis von der Haftung freistellt, eine Geschäftsbesorgung i. S. d. § 675 Abs. 1 BGB. Dieser Rechtsauffassung schloss sich das OLG Brandenburg an. Und weil die Beklagte einen Anspruch auf Auskehrung der Vergütung aus den Insolvenzverfahren gegen den Kläger hat, ist sie im Hinblick auf diesen Anspruch zur Verwendung und Verwertung der streitgegenständlichen Daten berechtigt. Denn die Abrede zur Auskehrung der Vergütung aus Insolvenzverfahren begründet gemäß § 666 BGB einen Auskunftsanspruch und die Berechtigung, die Auskünfte für die Berechnung und Geltendmachung ihrer Vergütungsansprüche gemäß § 667 Fall 2 BGB zu verwenden.

Zivilrecht, Datenschutz

§ 90 BGB

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